Topophobie – Identität des Landes

„Man kann es dir echt nicht recht machen, was?“
Wütend stapfte Nayara in das große, ehemalige Bürogebäude, das vor einigen Jahren in eine Ansammlung von dutzenden Proberäumen zur Vermietung umfunktioniert wurde. Genau wie das umliegende Gelände, war es im Inneren des Gebäudes sehr leer. Weiße, sterile Wände erstreckten sich über den ganzen Flur. Es war jedoch nicht so, dass wir etwas anderes gebraucht hätten. Es funktionierte, also war es genug. Die Wände hatten eine gute Schallisolation, denn obwohl momentan wahrscheinlich mehrere Bands in den Räumlichkeiten probten, hörte ich nur Nayaras stramme Schritte durch den Korridor hallen. Ich wäre in diesem Moment gerne genau so wütend wie meine Freundin gewesen, war aber zu müde dafür.
„Jetzt mach mal halblang“, beschwerte ich mich, während sie energisch auf die Aufzugstaste drückte und sich wahrscheinlich wünschte, das Knopfdrücken wäre eine Aktion gewesen, der man mehr Dramatik verleihen könnte.
„Ich versuche einfach nur realistisch zu bleiben. Das hat nichts mit Pessimismus zu tun.“
Nayara stöhnte laut auf und wandte sich mir zu.
„Wenn du den Unterschied zwischen Realismus und Pessimismus erkannt hast, reden wir über diese Aussage weiter, ja?“, schnauzte sie mich an.

„Weißt du, da gibt man dir ein Lob – ein ehrlich gemeintes Lob – und ich würde es wieder sagen, du bist ein großartiger Pianist, du bist…“
„Komm zum Punkt, du brauchst das nicht zu wiederholen“, unterbrach ich sie. „Ich hab schon beim ersten Mal verstanden, was du gemeint hast.“
„Genau das meine ich!“, rief sie. Viel zu laut. Zum Glück konnte uns niemand im Aufzug hören. „Du schaust immer nur auf das Negative! Nie sprichst du dem Positiven die Bedeutung zu, die es verdient!“
Ich seufzte und versuchte ruhig zu bleiben. Ganz gleich, wie ruhig ich allerdings äußerlich blieb, kochte und rumorte mein Inneres. Ich wusste, dass ich gerade in dieser Situation spitze Kommentare für mich behalten sollte, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war auch nicht so, dass es meiner Ansicht nach ungerechtfertigt gewesen wäre. Ich war ja schließlich nicht der einzige, der hier emotional war. Und war nebenbei bemerkt weitaus weniger emotional.
„Wären wir in einer Paartherapie“, erklärte ich ruhig. „Würde unser Therapeut dir sofort sagen, dass die Worte immer und nie in Beschreibungen des Partners selten hilfreich sind.“
„Also…“
Nayara blieben die Worte im Mund stecken. Sie starrte mich einfach nur an, die Zornesröte steht ihr ins Gesicht geschrieben und sie schüttelte mit funkelnden Augen den Kopf. Warum war dieser Aufzug so langsam? Ich atmete langsam aus und hatte die Vermutung, dass momentan alleine das Ausatmen schon für Nayara eine Provokation darstellte. Langsam wandte sie den Blick von mir ab. Wir stierten wortlos auf die Aufzugstüre, während ich mir darüber Gedanken machte, wann wir den Stand erreichen würden, an dem das Maß voll war. Es war keine Seltenheit, dass wir stritten. Früher oder später versöhnten wir uns immer wieder und entschuldigten uns dafür, dass wir übertrieben hätten. In dem Moment hätte ich das gerne sofort gesagt, einfach, um es hinter mich gebracht zu haben. Aber ich fragte mich allen Ernstes, ob es Nayara nicht eines Tages zu viel sein könnte. Oder ob sie dachte, dass es mir eines Tages reichen könnte – und wenn sie mir diese Frage stellen würde, so fragte ich mich, wie würde ich darauf am Besten antworten können? Dieser Gedankengang bereitete mir Bauchschmerzen. Während ich mir sicher war, dass Nayara mir eine Antwort geben würde, die ganz von Herzen kam, vollkommen aufrichtig und ehrlich war, war meine erste Reaktion, mir eine Antwort auszudenken, die der Situation angemessen war. Die sie beschwichtigen würde, aber bei der die Wahrheit eine eher untergeordnete Rolle spielen würde. Um sie um Himmels Willen nicht zu verlieren…

Ich wurde jäh aus meinen Grübeleien gerissen, als sich die Aufzugstüre öffnete.
„Kommst du jetzt?“, fragte mich meine Freundin genervt und trottete auf den Proberaum zu. Ich folgte ihr wortlos und vernahm bereits das Scheppern des Schlagzeugs, das gedämpft aus dem Proberaum in den Flur hallte. Es wurde weit lauter, als Nayara die Türe öffnete und eintrat. Felix schien es nicht zu kümmern, sorglos trommelte er weiter. Der Proberaum war zwar recht eng, aber jeder von uns hatte genug Platz, auch mit Drumset, Stage-Piano, Mischpult, E-Bass- und Gitarrenverstärker. Möbelstücke gab es keine, wie der Rest des Gebäudes herrschte hier ansonsten gähnende Leere. Immerhin war es durch das große Fenster an der Außenwand sehr hell und die Akkustik erstaunlich gut.
„Halt’s Maul!“, herrschte Leon unseren Drummer an an. Der hochgewachsene Bassist hatte die Eigenart, immer „Halt’s Maul“ zu rufen, wenn jemand unaufgefordert auf seinem Instrument spielte, auch wenn man dabei kein Sterbenswörtchen von sich gab, was uns drei mittlerweile eher amüsierte.
„Sei gegrüßt, großer Napoleon“, spottete Nayara und schwang ihren Gitarrenkoffer herum. Ihr leidenschaftlicher Zorn schien sich innerhalb kürzester Zeit in resignierten Groll gewandelt zu haben. Felix hörte auf zu spielen und stand lächelnd auf, als er uns sah. Behäbig schlenderte er zu uns herüber und umarmte uns. Es musste seltsam aussehen, wenn er, ein massiger, kräftiger Kerl mich, der ich ja eher von schmächtiger Statur war, in die Arme nahm. Nayara umarmte danach auch Leon, der darauf wie gewohnt eher steif reagierte. Es war bei Weitem nicht unsere erste Probe, wir spielten schon seit Jahren zusammen, aber dennoch blickte Nayara mit einem erwartungsvollen Blick zuerst zu mir, dann zu Leon.

„Nein“, sprach dieser lächelnd und mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nat ist der einzige hier, der mich tatsächlich ansatzweise kennt. Wir brauchen uns nicht zu umarmen.“
„Wir haben uns über soziale, aufgezwungene Begrüßungsrituale hinweg entwickelt“, erklärte ich feierlich, aber nicht zu feierlich, da ich nicht wusste, wie wütend Nayara noch auf mich war. Gleichzeitig wollte ich mich aber nicht durch ihre wechselhaften Launen einschränken lassen.
„Stoffelige, asoziale Trantüten…“, raunte sie, schloss ihre Gitarre an und verkabelte ihr Mikrofon.
Leon grinste mich zufrieden an, während ich mich schmunzelnd ans Stage Piano setzte.
„Alles klar, Nat?“, fragte mich Felix. „War heute nicht deine… große Audition? Bei dieser Jazzkapelle?“
„Frag nicht!“, bellte Nayara mit übertrieben genervter Stimme. „Sonst fängt er trotz aller guten Neuigkeiten an zu Heulen!“
Ich sah, dass sie ihren Ärger allerdings größtenteils wieder abgebaut haben musste, denn sie lächelte kopfschüttelnd. Felix sah mich verwirrt an.
„Wenn er sich Giant Steps reingezogen hat, wird wohl alles glatt verlaufen sein!“, posaunte Leon augenzwinkernd.
„Tatsächlich, ist es – mehr oder weniger!“, bestätigte ich mit einem aufgesetzten Lächeln. Ich hatte keine Lust, das Thema wieder auszurollen. Ich fühlte mich wirklich nicht gut dabei, es fühlte sich nicht wie ein Erfolg für mich an.
„Danke für deinen Tipp.“
„Klar, gern geschehen!“
Leon grinste über beide Backen.
„Hab ich doch gesagt, was?“
„Ja, hast du“, bestätigte ich. „Du bist wahnsinnig toll. Du solltest dich mit Pferden beschäftigen.“
Ich lächelte vorsichtig zu Nayara herüber, während Leon mich verwirrt ansah.
„Wieso Pferde?“
„Gleich und gleich gesellt sich gern“, erklärte Nayara, die allerdings die ganze Zeit dem Mischpult zugewandt war.
„Deine Hübsche hat heute aber gute Laune“, bemerkte Leon trocken.
„Naja“, entgegnete Felix. „Wenn Nat in der Band aufgenommen wurde, bedeutet das, dass er weniger Zeit für sie hat. Ich kann’s schon verstehen.“
„So ein Blödsinn!“, protestierte Nayara und die Monitorboxen quietschten kurz auf. „Oh, ups, tschuldigung…“
Es fiepte noch mal kurz, während sie an verschiedenen Reglern herumschob, dann drehte sie sich um und setzte wieder ihre ernste Miene auf.
„So ein Blödsinn!“, wiederholte sie schließlich, mit der selben dramatischen Betonung wie beim ersten Mal. „Ich bin nicht wie deine Alina, klar? Außerdem, selbst wenn, Nat würde dann dennoch das Richtige tun und trotzdem in der Band spielen!“
Auch, wenn ich mich über das Kompliment freute, sah ich besorgt zu Felix, der glücklicherweise wie gewohnt die Ruhe selbst war.
„Hey, Nayara, beruhige dich“, sprach er mit seiner warmen, ruhigen, manchmal schon fast einschläfernd klingenden Stimme. „Ich finde deine Anspielung unangebracht.“
Leon kicherte, Nayara verschränkte die Arme. Felix hob lächelnd seine Schulter und Handflächen empor.
„Ich bin doch hier! Ich spiele doch mit euch! Oder?“
„Ja“, schnarrte ich, der Anschuldigungen überdrüssig. „Bist du. Könnten wir bitte anfangen zu proben? Ich will gerade einfach nur Musik machen, die aus maximal vier Akkorden besteht…“
„Haha“, lachte Leon. „Das ist mein guter Junge – voller Tatendrang! Machen wir! Aber zuvor… lasst uns über ein paar organisatorische Dinge sprechen. Ich habe Neuigkeiten. Großartige Neuigkeiten!“
„Hört, hört! Unser großer General spricht. Haben wir Moskau schon eingenommen?“
„Spar dir deine Luft für den Gesang auf, Schätzchen“

Leon schien heute guter Laune zu sein und ließ sich nicht von der übermäßig gereizten Nayara aus dem Konzept bringen. Aber dann wiederum ließ er sich ohnehin selten aus dem Konzept bringen.
„In einem Monat wird ein wichtiger Wettbewerb stattfinden“, erklärte er. „Alle Teilnehmer müssen eine Demo an den Verlag schicken, die zehn Besten werden genommen und treten dann am 1. Oktober in Berlin auf. Der Gewinner wird von Patriot unter Vertrag genommen und eine CD aufnehmen! Sicher – ihr werdet euch jetzt bestimmt fragen, warum ich ausgerechnet auf diesen Wettbewerb gekommen bin. Wisst ihr wieso? Nein, offensichtlich nicht, sonst würdet ihr nicht so desinteressiert dreinschauen. Etwas mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf! Also. Thema bei diesem Wettbewerb ist „Identität des Landes“ und nur deutschsprachige Gruppen dürfen auftreten!“
„Willst du das wirklich?“, fragte ich. „Dir ist schon klar, dass das nationalsozialistische Propaganda ist oder?“
„Ach“, seufzte Leon. „Wir machen die erste Platte so, wie sie wollen und danach haben wir uns einen Namen gemacht. Mit steigender Bekanntheit steigt auch die Unabhängigkeit. Danach können wir Musik machen, wie wir wollen, weil uns dann sowieso jeder Depp hört! Der Zweck heiligt die Mittel.“
„Das glaubst aber auch nur du, was?“, spottete Nayara. „Was die Unabhängigkeit angeht – Verträge heißen nicht umsonst so, wie sie heißen und außerdem bin ich, eure Frontfrau, wie ich anmerken darf, eine halbe Portugiesin.“
„Du bist blond und hast Titten, das reicht denen.“
Nayara setzte mit angewidertem Gesicht an, irgendetwas darauf zu erwidern, aber zögerte zu lang und Leon sprach weiter.
„Und wir machen deutschsprachige Musik! Mit was? Genau – klassischen Einflüssen! Liszt, Wagner! Die Krawattenträger von Patriot werden uns lieben! Sie müssen!“

Ich verstand Leons Enthusiasmus und sah durchaus die Chancen, die wir damit hatten, aber dennoch empfand ich bei dieser Idee einen bitteren Beigeschmack. Zwar war es so, dass ich, wie wir alle, wenngleich mehr oder weniger ausgeprägt, den Wunsch hegte, es mit unserer Band weiter zu schaffen, als nur eine lokale Bekanntheit zu bleiben, aber bei dem Wort „Vertrag“ drehte sich mir aus nicht ganz rationalen Gründen der Magen um. Und bei nationalsozialistischen Aktionen in den Medien, wie solchen, machen wir uns nichts vor, hatte ich allgemein ein schlechtes Gefühl. Alleine schon das Label war mir unsympathisch. Wir schwiegen alle und Leon sah uns mit wachsender Verzweiflung an.

„Leute!“, rief er. „Wacht auf! Das ist unsere Chance! Was wird das für ein Sprungbrett für unsere Karrieren sein! Ich werde bei den Ledringer Philharmonikern eine noch viel größere Chance haben, wer weiß? Vielleicht sogar im Sinfonie Orchester Berlin!“
Bevor Nayara eine spöttische Antwort erwidern konnte, kam ihr Leon erneut zuvor.
„Nayara, du wirst viel mehr Schüler bekommen! Und stell dir vor, wie stolz deine Schützlinge alle auf dich sein werden! Meine Gitarrenlehrerin spielt bei „Unerhört“! Das werden sie ihren Eltern und Freunden sagen und du kannst dann locker das doppelte verlangen!“
Er pausierte seinen Redeschwall und lächelte Nayara triumphierend zu, die ihre Lippen nur aufeinander presste. Man merkte, dass sie sich mit der Idee schnell anfreunden konnte.
„Ich…“, begann Felix zögernd und seine Finger rieben nervös über die Sticks, die er hielt. „Ich weiß nicht, ob ich Zeit dafür habe…“
Während ich bisher ruhig geblieben war und versucht hatte, die Pros und Contras gegeneinander abzuwägen, spürte ich nun, wie in mir der Ärger hoch stieg. Vielleicht lag es daran, dass meine Nerven für den Tag ohnehin schon genug gereizt wurden, vielleicht daran, dass ich Felix‘ ewige Ausflüchte langsam satt hatte – wahrscheinlich eine Kombination aus beidem.
„Jetzt überleg doch mal!“, sprach ich schließlich, versuchte freundlich zu klingen und zu lächeln, wirkte aber wahrscheinlich viel zu hysterisch, um überzeugend zu erscheinen. „Wenn wir bei diesem Wettbewerb tatsächlich gewinnen, kannst du die Werkstatt endlich verlassen! Du musst dich nicht mehr um die Rechnungen kümmern!“
Felix lächelte gequält und wippte nachdenklich mit dem Kopf hin und her. Ich wusste, dass „Zeit“ nicht das Thema war, auf das er eigentlich anspielte, weshalb ich das auch erst gar nicht ansprach.
„Du… du musst dich nicht mehr darum kümmern, ein schön großes Haus zu finden, mit zehn Zimmern für zwei Personen!“, fuhr ich eifrig fort. „Eines, das ein Kfz-Mechatroniker bezahlen kann! Ich meine, nicht, dass du nicht sowieso eines finden würdest, du verdienst ja trotz allem immer noch ungefähr das Dreifache von dem, was ich momentan bekomme. Und… und stell dir vor!“
Während Leon zufrieden nickte, merkte ich, wie die Zustimmung, die ich zunächst in Nayaras Gesicht fand, sich langsam in Sorge wandelte. Aber dann wiederum sah ich wieder Felix, diesen… diesen Verräter an sich selbst und ich plapperte weiter.
„Stell dir vor, die ganzen Schuhe! Ha! Kannst du dann alles locker bezahlen! Wenn du eingekleidet wirst, musst du dir nicht ständig darüber Gedanken machen, ob du das Geld nicht lieber für Essen als für neue Klamotten ausgeben solltest! Für Kosmetikprodukte! Hehe!“
Ich lachte nervös. Ich wollte nicht, dass er dachte, dass ich wütend bin. Obwohl ich es war. Ich wollte, dass er wütend auf Alina wurde.
„Für diese bescheuerten Frauenmagazine! Für… für… die überteuerten und völlig unnötigen Maniküren! Aber… wenn wir mit unserer Band groß rauskommen, dann kannst du dir diesen ganzen Scheiß tatsächlich auch leisten!“
Felix sah mich traurig an, erwiderte aber nichts und in diesem Moment tat es mir leid, ihm das alles so an den Kopf geworfen zu haben. Ich meinte alles ernst, aber mir wurde klar, dass ich es anders hätte ausdrücken können.
„Was unser quirliger, kleiner Freund damit sagen will“, fuhr Leon fort, der keineswegs von der Spannung, die sich während meiner Rede aufgebaut hatte, beeinträchtigt wurde. „Du wirst deine Frau richtig verwöhnen können!“
„Ich glaube nicht, dass sie will, dass ich ständig auf Tournee gehe.“
Felix klang müde, erschöpft, des Redens überdrüssig.
„Außerdem… hört ihr nicht, wie unrealistisch das alles klingt? Wir haben ja noch nicht einmal eine Demo. Und es werden sich unzählige Bands bewerben.“
„Ja“, lachte Leon. „Aber nur eine Band hat so einen guten Bassisten.“
Niemand lachte über diesen Witz, nicht einmal er. Wenn es denn überhaupt als Witz gemeint war, das wusste man nie so recht bei ihm.
„Und Einflüsse der Neudeutschen Schule! Originelle Kombination!“
Er zwinkerte mir zu.
„Felix, sie haben recht…“, sagte Nayara, jetzt mit viel sanfterer Stimme als vorhin. „Das könnte tatsächlich eine geniale Gelegenheit für uns sein!“
„Ja, aber was ist mit der Demo?“, fragte er. „Wir müssten erst einmal eine gute Aufnahme von uns machen. Wir waren immer nur eine Live-Band. Wir können uns kein Tonstudio leisten!“
Doch, das könntest du, dachte ich, behielt den Gedanken aber für mich. Wenn seine Frau nicht so verschwenderisch wäre.
„Klar, können wir“, sprach Nayara in überzeugtem Tonfall und legte ihre Stirn in Falten.
„Eine Aufnahme, das wird nicht all zu lange dauern. Und wenn wir alle zusammenlegen, dann bekommen wir das Geld zusammen.“

Felix betrachtete uns alle, wir betrachteten ihn.
„Nein“, sagte er schließlich mit einer Stimme, die deutlich machte, dass er seinen Entschluss bereits gefällt hat. „Ich habe kein Geld und keine Zeit für so etwas. Wenn ihr bei diesem Wettbewerb teilnehmen wollt, dann müsst ihr euch dafür wahrscheinlich einen anderen Schlagzeuger suchen.“
Ich sah ihn ungläubig an, als er aufstand und seine Sticks, Rods und Besen zusammenpackte.
„Ich habe mich heute wirklich sehr auf die Probe gefreut“, meinte er trübsinnig und ging durch die Mitte des engen Proberaumes, rempelte dabei das Drumset mehrmals ungeschickt an und trat aus Versehen auf Nayaras Effektgerät, das daraufhin ein brummendes Geräusch von sich gab.
„Aber jetzt habe ich wirklich keine Lust mehr. Bis nächste Woche. Wenn ihr mich bis dahin noch haben wollt.“
Selbst Leon sagte jetzt nichts mehr. Wir blickten Felix verständnislos nach, als er den Proberaum verließ.

Hier weiterlesen: Der Wilde Vagabund

9 Antworten auf „Topophobie – Identität des Landes

  1. Wieder schöne Dialoge, die gehören wirklich zu Deinen Stärken. Zwei reingerutschte falsche Zeichen (“ … wir über diese Aussage weiter, ja? „, schnauzte sie mich an….“ und “ … Oh, ups, ‚tschuldigung…“) und an vielen kleinen Stellen sprachlich leicht holperig. Beispielsweise:
    “ … Nayara umarmte danach auch Leon, der auf diese Umarmung wie gewohnt …“ (Da wird ganz schön viel umarmt, insofern könnte man doch einfach schreiben: … der darauf wie gewohnt …)
    “ … Felix lächelte und hob Schulter zuckend seine Handflächen empor …“ (Da stolpert man, weil die Schulter als Substantiv und nicht als Adverb (schulterzuckend) verstanden wird. Knackiger und verständlicher wäre: Felix hob seine Schulter und Handflächen empor)
    “ … Der Gewinner wird von Patriot unter Vertrag genommen und wird eine CD aufnehmen! …“ (das zweite „wird“ ist überflüssig)
    “ … Während ich bisher ruhig geblieben bin und versucht habe, die Pros …“ (da bist Du ins Präsens gerutscht.)
    Andererseits fallen diese Sachen wahrscheinlich ohnehin nicht vielen auf – ich werde in Zukunft da auch nicht mehr groß rummeckern. Wollte nur nochmal darauf hinweisen, dass Du Deinen schönen Text noch verbessern könntest. Aber Du schreibst ja selbst, dass es Dir weniger um die Sprachschleiferein geht als um die Geschichte selbst. Die freilich das Wichtigste ist. Liebe Grüße!

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    1. Vielen Dank für’s Feedback! Ich weiß das sehr zu schätzen und würde mich auch weiterhin über Hinweise auf Form- und Ausdrucksfehler, bzw ungünstige Formulierungen freuen. Wenn man mir so etwas im Nachhinein zeigt, dann muss ich das unbedingt sofort korrigieren, so sehr juckt es mich dann in den Fingern. Ich kann’s natürlich verstehen, wenn das ständige korrigieren als Leser zu stressig ist, wenn man in erster Linie (hoffe ich doch…) liest, um unterhalten zu werden – nicht umsonst werden Lektoren für so etwas bezahlt, aber umso mehr freue ich mich über solche Hinweise. Ich bin leider kein Mensch, der so ein Auge für solche Details hat. Noch nicht, jedenfalls.

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  2. Ui ui ui, dafür, dass Nat so reflektiert ist, ist er ja ein ganz schöner Stinkstiefel. (Ähm, sorry, falls autobiografische Einflüsse und so…)
    Jedenfalls ist diese Kombination eine wirklich explosive.
    Ich schildere Dir meine ganz persönlichen Empfindungen: Mir dauert das zu lang, der ganze Anfang. Ich hätte es lieber noch flotter. Besonders die ganzen Vorstellungen von Personen sind mir zu detailliert. Nicht zu viel, einfach nur zu viele Details. Du hast ja ein hervoragendes Auge für die Protagonistenpsychologie, wenn Du Dich damit auf Nat stürzt, reicht das erstmal völlig aus. Alle anderen können ja nach und nach ein Stück vom Kuchen abhaben. Und die Dynamik zwischen Nat und seiner Freundin zerrt ja auch viel an Leserenergie. Ich habe die anderen Leute also immer überflogen, oder nur die Dialoge gelesen, weil mir das Drumherum zu wulstig ist. Aber wie gesagt, das ist nur meine Vorliebe, ich bin eher fürs Knappe; und meist geben die (Neben)Figuren ja viel durch das, was sie sagen, von sich preis.
    Das Ding zwischen Nat und Nayara ist absolut glaubwürdig gelungen. Mir gefällt diese Spannung zwischen den beiden, ein bisschen quält das beim Lesen, weil man denkt: Das geht sowieso in die Hose. Andererseits wünscht man sich natürlich, dass Nat (sehr sympathische Typ trotz seiner Macken) glücklich wird. Gut gemacht! Was ich auch sehr mag, ist dieses Konstrukt zwischen Felix und seiner Frau, davon möchte ich gern mehr erfahren. Und da haben wir ja schon zwei sehr starke Beziehungen, die sich in dem rechten Text bisher entwickeln. Das wirkt gedrängt und übereilt.
    Liebe Grüße, Julia

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    1. Herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Kann es sein, dass du die Geschichte in einer etwas abenteuerlichen Reihenfolge liest? 😀

      Jedenfalls, ich hatte schon ein wenig Bedenken, dass es den Lesern zu langsam vorangeht, diese Befürchtungen wurden jetzt mit deiner Anmerkung bestätigt… mein erstes Konzept sah noch ganz anders aus. Da hatte ich vor, die Geschichte in abwechselnden Kapiteln aus der Sicht von Nat, Nayara, Leon und Felix zu erzählen, bis ich merkte, dass das den Rahmen total gesprengt hätte. Wie man vielleicht merkt, lege ich sehr großen Wert darauf, wie die Figuren miteinander umgehen und sprechen (daher kommen wohl auch meine überzeichneten Beschreibungen, wie sie Dinge sagen). In dem Format, für das ich mich dann letztlich entschieden habe, war es mir wichtig, dass die anderen Charaktere zumindest Interaktion mit Nat haben und bei Dialogen entfalten sich Persönlichkeiten mMn am besten. Nur ist Nat eben von eher zurückhaltender Natur.

      Mir persönlich fallen nun drei Optionen ein, um dieses Problem zu beheben:
      1.) Ich kürze die Gespräche mit Nayara, um die „Leserenergie“ etwas umzulenken, führe die neuen Charaktere dafür etwas detaillierter ein, damit man weiß, dass sie eigentlich auch wichtig sind.
      2.) Ich mache aus Leon und Felix eher so etwas wie Statisten – sie sind zwar da, werden auch vom Prota wahrgenommen, aber ich gehe als Erzähler nicht weiter auf sie ein.
      3.) Es könnte sein, dass in dem ganzen Zwischenmenschlichen etwas zu viel Pathos liegt. Wenn alle – ganz doof gesagt – etwas „freundlicher“ zueinander sind, nicht mehr ganz so bissig und das Gespräch etwas geradliniger verläuft, könnte es glatter und angenehmer zu lesen sein.

      Wenn ich das so schreibe, merke ich, dass ich gerne noch ein paar andere Alternativen hätte… wenn dir noch eine eine andere Option in den Sinn kommt, teile sie bitte mit mir!

      Freut mich übrigens sehr, dass dich – von den anderen Punkten abgesehen – die Story mitnehmen kann! Und vor allem, dass die Beziehung zwischen Nat und Nayara authentisch wirkt. Ich mag’s gar nicht, wenn etwas aufgesetzt und gekünstelt wirkt.

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      1. Abenteuerlich stimmt. Aber jetzt habe ich ganz brav von vorn angefangen. Gut, dass ich frei habe und eigentlich schreiben wollte …
        Was mich sehr verwundert, ist, dass Du die Dialoge glätten willst. Ich finde sie gar nicht bissig, das könnte ruhig noch mehr sein!
        Das andere: Seltsam, dass Du davon ausgehst, die Wichtigkeit einer Figur wird ihr durch verspätete oder unregelmäßige Beleuchtung abgesprochen. Das sehe ich ganz und gar nicht so! Und Statisten sind immer gut, aber bitte nicht Felix 😉 Ich finde, Du bekommst was Interessantes rein, wenn die Beziehung zwischen ihm und Alina so ein bisschen als Gegenpart da ist, meinetwegen auch als Vergleich. Das müssen auch nicht viele Worte sein, ein paar reichen schon aus. Nat und Na…, menno, hadern ja immer mal mit ihrer Beziehung, und gerade die Dame neigt dazu, Vergleiche anzustellen.
        Ich habe das Gefühl, dass Du Dich ein wenig zu viel auf Theorie stützt. Das kann schon beim Schreiben helfen, ist aber nicht alles. Man kann ja auch ausprobieren, auseinanderziehen und anders wieder zusammenfügen. Wenn es funktioniert, hast Du es richtig gemacht, dann ist die Technik nebensächlich. Ich verstehe jedoch, was Du meinst: Die Nebenfiguren sollten auf gleicher Ebene stehen, ist das richtig? Nun, das tun sie noch immer, auch wenn sie später oder zeitversetzt kommen. Bloß nicht parallel, das wirkt konstruiert. Und mich als Leser erschlägt es. Das wirkt zu bemüht.

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  3. Sehr schmeichelhaft, dass du stattdessen hier am lesen und kommentieren bist 😉

    Dann habe ich deine Anmerkung wahrscheinlich einfach etwas falsch verstanden. Du empfindest also nur, dass zu viele Figuren auf einmal eingeführt werden – da wird die Sache jetzt aber tatsächlich kompliziert. Ich würde zwar gerne die Charaktere nach und nach vorstellen, aber hier fällt mir leider keine Möglichkeit ein, deinen Ratschlag umzusetzen – Nat und Nayara gehen zur Bandprobe, wo der Rest der Band bereits auf sie wartet: und das sind eben Leon und Felix. Wenn ich hier einen der beiden weglassen würde, ich fürchte, dann würde es noch konstruierter wirken, denn man geht ja eigentlich davon aus, dass eben der Rest der Band auch anwesend ist.

    Gerade aus diesem Grund habe ich Nat und Nayara im vorigen Abschnitt ja auch schon über Leon sprechen lassen, im ersten Abschnitt wurde er von Nat auch erwähnt: dass Leon dem Leser bereits schon ein Begriff ist. Und um Felix geht es ja mehr oder weniger in diesem Abschnitt. Trotzdem bleiben beide, da ich mich ja für Nat als Protagonisten entschieden habe, aus dessen Perspektive erzählt wird, Nebendarsteller.
    Uff… aber du hast Recht, ich stürze mich da wieder auf die Theorie, lass da ruhig das „ein wenig“ weg, das mache ich ständig. Wenn’s beim Leser anders ankommt, als geplant, dann ist das ein gutes Zeichen für mich, dass ich mal wieder etwas zu verkopft an die ganze Sache herangegangen bin.

    Gute Idee übrigens mit dem Gegenpart Nat+Nayara/Felix+Alina. Ein bisschen steuere ich auch schon auf diese Richtung zu. Aber erstmal wird Nathan jetzt (Abschnitt 14+) ein wenig Zeit haben, seine Gedanken zu ordnen, zu reflektieren was eigentlich abgeht und sich dabei mit elitären Jazzmusikern herumschlagen. Aaaah… ich glaube, die ersten beiden Dinge sollte ich auch tun.

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    1. Nein, ich meinte es allgemein. Schon klar, dass andere Menschen anwesend sind 🙂 Nur ihre Persönlichkeitsstrukturen sind da noch nicht so wichtig.
      Was? Gedanken orden und reflektieren? Das macht er doch ständig. Das „Verkopfte“ wolltest Du doch einschränken …

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