Eine Frage, die ich besonders häufig höre, ist die, wie man überhaupt andere Leute in die 16 Persönlichkeitstypen einordnen kann. Anhand dieser Dialog-Analyse aus der animierten Serie Bojack Horseman zeige ich euch ein Beispiel, wie man das ganz gut bei Gesprächen machen kann. Es hilft dabei, so ergebnisoffen und unvoreingenommen wie möglich zu sein. Häufig habe ich schon Menschen falsch eingeschätzt, weil ich zu große Sprünge in meinen Schlussfolgerungen vollzogen habe. Diese Gesprächsanalyse ist auch nicht das eine Werkzeug, das euch helfen wird, andere mit 100%iger Trefferquote einschätzen zu können. Alleine aus dem Grund, dass man auch mal „out of character“ agieren kann, gerade wenn Erziehung, Politik und Glaube eine Rolle spielen, passiert das recht häufig.
Jedenfalls, ich habe mir überlegt, ob ich diese Analyse komplett auf englisch mache/lasse, da der Großteil meiner Leser jedoch deutschsprachig ist, habe ich das Dialog dann schließlich doch übersetzt. Sollte jemand die Serie auf deutsch gesehen haben, kann es sein, dass meine Übersetzung an einigen Stellen abweichen wird, inhaltlich dürfte es aber immer noch passen. Unter meiner Analyse steht der Text noch im Original.
Ich gehe davon aus, dass die meisten Leser Bojack Horseman nicht gesehen haben, deshalb will ich die Szene kurz in einen groben Kontext setzen. Es ist nicht einmal so wichtig für die Analyse der kognitiven Funktionen, aber möglicherweise ist es so angenehmer zu lesen. Diane ist eine Autorin, die mit Depressionen zu kämpfen hat und Princess Carolyn ihre Publisherin. Eigentlich wollte Diane eine Essay-Sammlung über ihr eigenes Leben schreiben und all die traumatischen Erlebnisse, die sie durchgemacht hat, hatte jedoch (auch aufgrund ihrer Depressionen und der medikamentösen Behandlung) Schwierigkeiten damit, etwas zu Papier zu bringen. Diane hat später einen Geistesblitz und schreibt, völlig gedankenversunken und halb-unbewusst über ein Teenagermädchen, das Kriminalfälle löst. Ihr Freund Guy liest den Auszug, findet diesen sehr amüsant und schickt ihn, ohne Dianes Zustimmung an Princess Carolyn, die ebenfalls begeistert ist und nun der Meinung ist, Diane sollte lieber das Buch mit der Mädchendetektivin schreiben, als ihre Essay-Sammlung. Nach einer Veranstaltung, die beide besucht haben, konfrontiert Diane Princess Carolyn:
Diane: Princess Carolyn, warte. Ich verstehe, du versuchst zu helfen… in deiner eigenen, aufdringlichen, egozentrischen Art.
Diane versucht mit PC (Princess Carolyn) ins Gespräch zu kommen, auch, wenn sie aufgebracht über sie ist. Sie versucht initial FE (Feeling Extroverted) zu verwenden, aber ihre eigenen Emotionen lassen sie nicht darüber hinwegkommen, dass sie sich von PCs Verhalten irritiert fühlt und konfrontiert sie auch damit, wodurch ihre FI (Feeling Introverted) – TE (Thinking Extroverted)-Achse Dominanz zeigt. Diane kann ihre eigenen Gefühle nicht beiseite schieben.
Princess Carolyn: Oh, danke!
PC scheint sich nicht einmal groß gekränkt zu fühlen, für sie scheinen Aufdringlichkeit und Egozentrismus nicht einmal zwangsläufig negative Beschreibungen zu sein.
Diane: Aber ich will keine Jugend Detektivgeschichten Serie schreiben!
Erneut, die FI-TE-Achse, die zum Vorschein kommt. Diane versucht initial noch nicht einmal, zu begründen, weshalb sie das nicht will, sondern stellt direkt fest, was sie nicht will. Emotionsgetrieben (FI) und stur (TE).
Princess Carolyn: Ich denke allerdings, das du das tust! Denn, als ich es gelesen habe, konnte ich erkennen, dass du Spaß hattest.
PC geht auf die Direktheit von Diane ein und erwidert gleichermaßen, nur umgedreht mit einer TE-FI-Achse: sie widerspricht erst einmal sehr direkt: „Doch, das tust du“ und begründet damit, dass man nicht übersehen kann, dass die Geschichte in einer solch süffisanten Art geschrieben ist, dass man ausschließen kann, dass Diane dabei keinen Spaß hatte. Der direkte Widerspruch mit der logischen Erklärung (TE) wird gestützt durch die emotionale Einsicht (FI), die PC durch das Lesen des Textes hat.
Diane: Ja, aber ich schreibe ein Buch nicht, um „Spaß zu haben“. Wenn ich meine Essay-Sammlung nicht jetzt schreibe, werde ich das niemals tun!
Hier scheint Diane NI und TE zu verwenden: ein Buch zu schreiben, soll einen Zweck erfüllen, der bloßen Gefühlen während des Schreibens übergeordnet ist (TE). Was sie schreibt, soll Bedeutung haben (NI) und Diane glaubt, dass sie, wenn sie es jetzt nicht kann, niemals können wird (Präzedenzdenken von NI).
Princess Carolyn: Und? Dann schreibe eben keine Essay-Sammlung.
PC’s nüchterne TE-Analyse. „Die Fakten liegen doch alle auf dem Tisch“.
Diane: Ich muss aber!
FI-TE: Diane fühlt sich gezwungen, sie sieht es als ihre Pflicht an, diese Essays zu schreiben.
Princess Carolyn: Warum?
Diane: Wenn ich es nicht tue, bedeutet das, dass all der Schaden, den ich erlitten habe, kein guter Schaden ist. Es ist nur… Schaden. Es hat mir nichts gebracht und all die Jahre, in denen es mir miserabel ging, waren für Nichts. All die Zeit hätte ich… fröhlich sein, Bücher über Mädchendetektive schreiben, glücklich und beliebt sein können, gute Eltern gehabt haben, ist es das, was du sagst? Wofür all das?
Diane befindet sich in einer FI-SI-Schleife: sie kann ihre Vergangenheit nicht loslassen, fühlt sich immer wieder von ihr eingeholt und durchlebt dadurch all ihre schlechten Erfahrungen aufs Neue. Ihr NI will, dass all die Verletzungen eine Bedeutung hatten.
Princess Carolyn: Ich… ich weiß nicht, Diane. Alles, was ich weiß, dass dieses Buch über Mädchendetektive Spaß macht. Ich mochte es. Ich mag die Vorstellung, dass meine Tochter in einer Welt mit solchen Büchern aufwachsen könnte. Oder, wenn meine Tochter keine Leserin ist, einer lukrativen Filmadaption.
Erneut argumentiert PC mit den offensichtlichen Fakten: TE. Im Gegensatz zu Diane ist PC eher zukunftsorientiert und versucht ein positives Bild darzustellen, um den Auszug des Jugendromans für Diane in ein besseres Licht zu rücken: ihr Gefällt die Vorstellung, dass ihre Tochter Dianes „fröhliche“ Bücher lesen könnte (NI). Für einen kurzen Moment vergisst PC, dass sie Diane überzeugen und aufmuntern will. Als Filmproduzentin lässt sie das TE-NI-Zusammenspiel bereits von einer Verfilmung träumen.
Diane: Als ich ein kleines Mädchen war, dachte ich, dass alles, all der Missbrauch und die Vernachlässigung mich irgendwie besonders machten. Und ich entschloss mich dazu, eines Tages etwas zu schreiben, das kleine Mädchen wie mich dazu bringen würde, sich weniger allein zu fühlen. Und wenn ich dieses Buch nicht schreiben kann…
Diane geht auf PCs Argument mit ihrer Tochter ein, geht dafür aber zurück auf ihre eigene Erfahrungen (SI) als kleines Mädchen. Mit ihren Essays will sie anderen helfen, sich nicht so alleine fühlen, die dasselbe durchmachen mussten, wie sie. Ich will hier ganz ehrlich sein, dass ich ein wenig Probleme habe, hier zwischen extrovertiertem und introvertiertem Fühlen zu differenzieren. Offensichtlich sind die altruistischen Motive, die man FE zusprechen kann. Auf der anderen Seite ist es ja nicht so, dass FI-Doms diese nicht auch hätten, vor allem, wenn es darum geht, Leuten zu helfen, die sich so fühlen, wie man selbst (FI), die das selbe oder vergleichbares durchgemacht haben (SI).
Princess Carolyn: Dann… schreibe vielleicht dieses andere Buch. Vielleicht tut das dieses Buch auch.
Man hätte dieses Dialog noch weiter ausschmücken können, aber es wäre unnötig gewesen, da bereits alle Details im Dialog etabliert wurden: dieses Buch ist fröhlich, argumentiert PC zwischen den Zeilen und dem, was bereits gesagt wurde. Vielleicht kann es gerade dadurch auch den „kleinen Dianes“ helfen. PC geht auf Dianes Bedürfnis ein, anderen helfen zu wollen. Man kann nun in Frage stellen, ob PC ebenfalls das Wohlergehen der Kinder im Sinn hat, sicherlich sind ihr die Verkaufszahlen wichtiger, aber gleichzeitig versucht sie auch, Diane zu helfen. Sie geht pragmatisch auf ihre Gefühle ein und scheint etwas entdeckt zu haben, was Diane dabei helfen könnte, sich besser zu fühlen.
Diane: Ja?
Princess Carolyn: *Lächelt und nickt*
FI/FE über NI (Diane): PC kann letzten Endes nicht bestreiten, dass das Leid, das Diane durchmachen musste, keinen „höheren Zweck“ hatte, aber sie hilft Diane dabei, nach vorne zu blicken. Das „Ja?“ steckt voller Hoffnung, wie ein kleines, verletzliches Pflänzlein. PC spürt das und beendet das Gespräch mit einem ermutigenden Nicken.
Schön, wenn ihr es bis hierher geschafft habt! Ich würde mich ja sehr dafür interessieren, ob ihr Dinge anders eingeschätzt hättet. Und – vor allem, wenn ihr die Serie auch gesehen habt: was vermutet ihr, welche Typen sind Diane und Princess Carolyn? Princess Carolyn ist für mich als ENTJ in diesem Gespräch die eindeutigere von beiden, während ich Diane gerade die ersten Staffeln eher als INFJ eingeschätzt hatte, aber dann immer mehr zum Schluss gekommen bin, dass sie eher eine INFP ist. Jedenfalls mag ich beide Charaktere (und die Serie allgemein) sehr gerne.
Ich will an dieser Stelle auch nochmal erwähnen, dass dieser Dialogausschnitt keine Typanalyse der beiden Charaktere war. Typanalysen gehe ich eher wie ein Ermittler an, der beobachtet, recherchiert, Verknüpfungen macht, aber dabei versucht, nicht vorschnell jemanden zu verhaften. Erst wenn genug Indizien gesammelt wurden, ziehe ich eine vorsichtige Schlussfolgerung. Ein Dialog dieser Länge liefert in der Regel noch nicht ausreichend „Beweismaterial“, man bekommt eher ein Gefühl, einen Verdacht und kann in Zukunft versuchen, die eigenen Vermutungen zu falsifizieren. Sprich: versuchen, sie selbst zu widerlegen, bis man eine Behauptung aufstellt.
Und hier nochmal der Text in der Originalsprache.
Englisches Original
Diane: Princess Carolyn, wait. I understand, you’re trying to be helpful… in your own pushy, self-absorbed way.
Princess Carolyn: Oh, thank you!
Diane: But I don’t wanna write a middle-grade fiction detective series!
Princess Carolyn: I think you do, though! Because, when I was reading it, I could tell you were having fun.
Diane: Yeah, but I’m not writing a book to „have fun“. If I don’t write my book of essays now, I never will!
Princess Carolyn: So? Don’t write your book of essays.
Diane: I have to!
Princess Carolyn: Why?
Diane: Because if I don’t, that means all the damage I got isn’t good damage. It’s just… damage. I have gotten nothing out of it, and all those years I was miserable was for nothing. I could have been… happy this all time and written books about girl detectives and been cheerful and popular and had good parents, is that what you’re saying?! What was it all for?
Princess Carolyn: I… I don’t know, Diane. All I know is that this book about the girl detective is fun. I liked it. I like thinking that my daughter could grow up in a world with books like that! Or, if my daughter’s not a reader, a lucrative film adaptation.
Diane: When I was a little girl, I thought that everything, all the abuse and neglect, it somehow made me special. And I decided that someday, I would write something that would make little girls like me feel less alone. And if I can’t write that book…
Princess Carolyn: Then… then maybe write this other book. Maybe this book does that, too.
Diane: Yeah?
Princess Carolyn: *Smiles and nods*