Es macht oft den Eindruck, dass INTPs eher verkopfte Theoretiker als Social Butterflies sind und manchmal eher Robotern als Menschen ähneln. Aber gerade bei dieser groben Beschreibung könnte es möglich sein, dass man sich nur das Etikett und nicht den Inhalt der Box angeschaut hat. Ich denke, dass auch viele Menschen, die sich als INTPs identifizieren, selbst etwas zu „versimpeln“ und bestimmte Aspekte ihrer Persönlichkeit nicht bemerken oder bemerken wollen. Möglicherweise irrt man sich aufgrund überzeichneter Klischees auch mit der Zuordnung des Persönlichkeitstyps. Ich will mit der „Die dunkle Seite (…)“-Serie mehr Licht auf die negativen Aspekte werfen, die selten bis gar nicht in den geläufigen Typ-Beschreibungen zu finden sind. Der INTP scheint mir nicht nur deshalb ein guter Start zu sein, weil ich mich selbst zu diesem Typ zähle, sondern auch, weil er, meiner Sicht nach, einer der Typen scheint, der mit am häufigsten einfach nur mit ein paar Labeln („Nerd“, „klug“, „sozial unbeholfen“, „naiv“) abgestempelt wird, aber etwas mehr Tiefe mit sich bringt, als es möglicherweise den Anschein macht. Diese findet sich natürlich auch in positiven Aspekten, aber auf die werden in anderen Quellen schon zu genüge eingegangen. Legen wir also los:
Das Problem mit der Gruppenzugehörigkeit
Wenn man einen INTP kennenlernt, könnte man meinen, er mag ganz einfach keine Partys, keinen Small Talk und würde am liebsten alle bemerkbaren Emotionen, die um ihn herum aufkommen, wegfiltern. Man könnte begründen, er sei so distanziert und teilweise kühl, weil sein FE (Feeling Extroverted: extrovertiertes Fühlen) nicht besonders hoch entwickelt wäre. Während dieses tatsächlich nicht sein Steckenpferd ist, verhält es sich aber etwas anders, als man eventuell annehmen würde. Man darf nicht vergessen, dass sein FE immer noch präsent ist und eine tragende Rolle in seiner Persönlichkeit spielt. Dass es nicht so weit entwickelt ist, ist ungefähr vergleichbar mit einer Familie: nur, weil das jüngste Kind darin nicht „weit entwickelt“ ist, spielt es dennoch eine wichtige Rolle in der Familie. Bei einem Familienausflug müsste man, gerade weil das Kind noch nicht so weit ist, immer mal wieder anhalten und die Windel wechseln. Diese Windel wäre im Fall des INTPs das extrovertierte Fühlen. Die entsprechenden Bedürfnisse kommen dem INTP selbst, sofern er sie wahrnimmt, häufig als irrational vor, nicht selten als störend. Das bedeutet, dass der INTP, selbst, wenn er es vermutlich nicht zugeben würde, ein Bedürfnis hat, „dazu“ zu gehören. Vielleicht nicht unbedingt zu einer speziellen Gruppe, aber zu irgendeiner. Während besonders primäre introvertierte Fühler (INFP, ISFP) vor allem auf ihre eigene Empfindung von richtig/falsch setzen und Individualismus viel Wert verleihen, erkennen INTPs diesen Wert zwar ebenfalls, müssen sich aber aktiver von der „Weisheit der Masse“ abschirmen. Trotz ihres kritischen Denkens haben sie ganz FE-typisch zumindest die Tendenz, dem gesellschaftlichen Konsens zu folgen, oder, sind sie sich dieser Tendenz bewusst, sich ganz bewusst von diesem zu distanzieren und automatisch konträre Positionen zu vertreten. Dadurch sind diese INTPs jedoch mindestens genau so vom gesellschaftlichen Konsens beeinflusst.
Die offensichtliche Lösung, wenn man sie so nennen will, bleibt die Isolation, wenn es darum geht, dass der INTP zu unabhängigen Schlüssen kommt. Entweder direkt oder zumindest emotional – so sind zumindest die offensichtlichen Klischees erklärt, aber das extrovertierte Fühlen wird stark gedrosselt. Hier ausgewogen zu agieren, fällt INTPs sehr schwer. Häufig werden sie von Freunden als albern und bei Zeiten sogar als kindisch bezeichnet und das liegt meistens daran, dass sie ihre Emotionen, denen sie selbst nicht zu viel Bedeutung zukommen lassen wollen, karikaturhaft und überzeichnet ausdrücken. Anders als die Person, die laut lacht, weil sie ihre Unsicherheit übertünchen will, wird die Emotionalität hier absichtlich als absurd dargestellt. Gleichzeitig, wie im vorigen Absatz erwähnt, will der INTP trotzdem Teil der Gesellschaft sein und Gefühle sind demnach ein „notwendiges Übel“, die man „eben zeigen muss“. Im Grunde genommen ist dieses Verhalten zu vergleichen mit der Aussage: „Ihr verhaltet euch in meinen Augen affig, schaut her, ich verhalte mich nun genau so – darf ich ein Teil von euch sein?“
Wie zu erwarten, trägt diese Kommunikationsstrategie nur selten Erfolg. Im besten Fall wird der INTP dabei als wie oben erwähnt als albern und nicht unbedingt ernst zu nehmen wahrgenommen, häufig wird er jedoch auch einfach nur als sehr seltsam oder sogar hysterisch empfunden – oder man fühlt sich auf den Schlips getreten, sieht die Maskerade des INTPs als satirische Kritik am eigenen Verhalten an, was sie in gewisser Hinsicht tatsächlich ist. Der INTP fühlt sich nach seinen missglückten Versuchen, Kontakte zu knüpfen oder pflegen, abgeschoben und isoliert sich. Beide kritische Stimmen, die eine, die sagt, die anderen seien einfach nur zu dumm, die andere, man sei selbst zu schwer von Begriff und verstehe deshalb die anderen nicht, werden lauter und der INTP findet sich schnell wieder in der Eigenisolation wieder.
Die weniger offensichtliche Lösung ist also, dass der INTP die kritischen Stimmen für soziale Aktivitäten zurückfahren muss, was, da sie hauptsächlich durch seine primäre Funktion, das Introvertierte Denken („TI“ for future reference) sprechen. Das fühlt sich dann in etwa so an, wie für einen professionellen Theaterschauspieler, der bei einer Theateraufführung seines Kindes zuschaut und hinterher von ebenjenem gefragt wird, wie es denn war. Wenn er sagt: „Toll, also, wenn man bedenkt, dass du ein Laie und ein Kind bist“, dann wäre das absolut ehrlich, aber keine taktvolle, angemessene Antwort. Der INTP muss seine Reaktion entsprechend bei einem „Toll!“ belassen und sich den Rest denken. Das bedeutet: wenn bei einem Familientreff jemand etwas sagt, was nicht ganz der Wahrheit entspricht – nicht korrigieren, wenn nicht unbedingt nötig. In vielen Fällen ist es das nämlich tatsächlich nicht. Wenn jemand emotional wird – nicht ignorieren, aber sich auch nicht darüber lustig machen. Vor allem sollte der INTP hier erkennen, dass nicht er zwangsläufig der „Überlegene“ ist – nur, weil man mit den eigenen Emotionen nicht besonders gut verdrahtet ist, bedeutet das nicht, dass Emotionen generell eine Schwäche sind. Selbst, wenn man der Meinung sein sollte, kann auch der INTP nicht abstreiten, dass Emotionen in ihm arbeiten – umso tragischer ist es, dass er seine im Gegensatz zu vielen anderen Persönlichkeiten so häufig nicht richtig deuten kann und zum Teil sogar unbemerkt bleiben, wenngleich sie seine Handlungen beeinflussen. Kommen wir also zum nächsten Punkt:
Das Problem mit der Emotionalität
Es wäre ein Trugschluss zu sagen, dass Denkertypen weniger Emotionen hätten als Fühlertypen. Wir sagen schnell Dinge, wie „Er ist eine emotionale Person, du solltest ihn nicht reizen“ oder „Sie ist eiskalt. Ihr wird es völlig egal sein“, als gäbe es Leute, die nicht in der Lage darin seien, Emotionen zu verspüren, oder, positiv ausgedrückt, wären „immun“ dagegen. Das, was wir hier beschreiben, ist jedoch eher vergleichbar mit der Sensibilität der Sinne, während die Emotionen an sich die Dinge sind, die überhaupt erst die Sinne triggern. Wenn zwei Personen sich in den Finger schneiden, kann es sein, dass eine von beiden Personen weniger Schmerzen empfindet, als die andere, was nichts daran ändert, dass beide Personen Schnitte im Finger haben. Das stärkere Empfinden wird die sensiblere Person jedoch möglicherweise zu anderen Verhaltensweisen anregen, sich zum Beispiel direkt den Finger zu desinfizieren und zu verbinden, Schmerztabletten zu nehmen oder andere Betäubungsmittel, während die andere Person eventuell nur ein Pflaster auf die Wunde klebt, um nicht alles voll zu bluten, aber die Wunde darüber hinaus ignoriert. Ähnlich wie bei letzterer Person verhält es sich bei INTPs mit ihren Emotionen. Sie werden häufig ignoriert, was, um bei der Parabel zu bleiben, zu Entzündungen führen kann. Die Emotionen können auch nur solange ignoriert werden, bis sie sich zu sehr anstauen. Anders als die emotionalen Ausbrüche von introvertierten Fühlertypen, die in gewisser Hinsicht häufiger dazu neigen, Emotionen in sich hinein zu fressen, wissen INTPs häufig gar nicht mal richtig, was eigentlich gerade den Ausbruch verursacht hat und sind sich in einigen Situationen nicht einmal darüber bewusst, dass sie emotional werden. Auf überraschte, besorgte oder ängstliche Hinweise wie „du wirst gerade sehr laut/emotional/hysterisch“ reagieren INTPs dann nicht selten schnippisch und streiten den „Vorwurf“ ab. Früher oder später müssen sie sich jedoch eingestehen, dass die zu lange ignorierten Emotionen ihren Tribut eingefordert haben, was wiederum dazu führen kann, dass sich der INTP weniger achtet, da er sich nicht mehr in Kontrolle über die eigene Person wähnt.
Die offensichtliche Lösung ist es, aufmerksamer zu sein, wenn sich Gefühle regen und diese anzuerkennen. Wenn ein INTP bemerkt, dass er zum Beispiel neidisch ist, dann wäre es nicht hilfreich, den Neid zu leugnen, sondern ihn einzugestehen. In der Regel sind INTPs sehr diszipliniert, wenn es um Dinge geht, die ihnen wichtig sind – und wenn sie sich ihrer Emotionen bewusst sind, können sie sich bewusst dafür entscheiden, nicht den dadurch entstandenen Impulsen nachzugehen. Möglicherweise würden gerade hier viele INTPs oder Menschen mit INTPs in ihrem Umfeld widersprechen, dass sie nie oder selten merken würden, dass INTPs besonders impulsiv agieren würden, da sie meistens sehr gefasst, sehr kontrolliert und nüchtern wirken. Das ist jedoch nur die Fassade. Eine impulsive Handlung kann auch mit einem perfekten Pokerface durchgeführt werden. Es ist nicht verwunderlich, dass INTPs beispielsweise rückblickend häufig davon berichten können, sich selbst ihre Beziehungen sabotiert zu haben oder fragwürdige Entscheidungen getroffen zu haben, ohne groß darüber nachgedacht zu haben, was sie ja normalerweise in viel zu großem Ausmaß tun.
Ein „In-Sich-Gehen“ in welcher Form auch immer, kann dem INTP hierbei helfen, sich selbst auszubalancieren. Kaum eine Schwäche ist so gefährlich wie die, die man abstreitet, zu besitzen. INTPs sind, was Emotionen angeht, in etwa ähnlich gefährdet, wie betrunkene Menschen, die sich zu lange in der Kälte aufhalten. Wenn es gefährlich wird und sie merken, dass sie frieren, ist es meistens schon zu spät. Eine Freundschaft ist bereits in die Brüche gegangen oder der Job wurde bereits gekündigt.
Das Problem mit der Überkompensation
Früher oder später lernt der INTP auch Dinge kennen, die ihm wichtig scheinen. Ideale, seien sie politischer oder ganz individueller, persönlicher Natur fangen an, sein Denken zu prägen und dementsprechend zu beeinflussen. Da der INTP wie oben bereits geschildert durchaus ein emotionales Innenleben hat, aber keine besonders intime Verbindung dazu pflegt, kann es sein, dass sich die Emotionen in diesen Ideologien auf eine „rationalere“ Weise wieder finden – Sozialismus, Umweltschutz, aber auch Nationalismus oder Libertarismus beispielweise sind auch emotional geprägte Ideologien, bei denen mitunter Gerechtigkeitsempfinden, Stolz und Mitgefühl stark getriggert werden. Diese emotionalen Facetten sind jedoch eingebettet in Prinzipien, die sich auch vermeintlich frei jeglicher Gefühlsduseleien erklären lassen: Sozialismus und Libertarismus sind beispielsweise auch Wirtschaftsformen, bei denen man nüchtern sagen könnte: „Es geht einfach nur um die gesamte Maximierung des Glücks“.
Wie alle NT-Typen finden sich INTPs, selbst, wenn sie sehr introvertiert sind, schnell in Diskussionen wieder. Mit einer eigenen Meinung ausgestattet oder, wenn nicht das, dann zumindest mit dem Drang, die Meinungen anderer zu sezieren, haben sie auf einmal eine Möglichkeit gefunden, sich mit anderen Menschen auszutauschen und aufgrund ihrer oberflächlichen Distanziertheit dabei auch nicht selten eine relativ gute Figur abzugeben. Häufig sehr redegewandt und belesen kann schnell der Eindruck entstehen, dass INTPs ihren Diskussionspartnern gegenüber haushoch überlegen sind – wenn man noch bedenkt, dass sie dabei meistens recht gelassen bleiben, während der andere aufgebracht nach Argumenten sucht, geben sie dabei, in gewisser Hinsicht eine gute Figur ab. Gleichzeitig bedeutet Eloquenz nicht gleich, dass der Inhalt von höherer Qualität ist und nicht selten bedienen sich INTPs auch rhetorischer Tricks, um die Argumente ihres Gegenübers zu entschärfen. Man muss nicht um mehrere Ecken denken müssen, um zu erkennen, welche Probleme das mit sich führt: der INTP wird als arrogant und besserwisserisch empfunden und er verhärtet sich in seiner Meinung, die nun auf ihn selbst auch als „richtiger“ erscheint, weil er so viele Diskussionen seiner Auffassung nach „gewinnt“.
Und auch beim INTP kommen Gefühle zwangsläufig früher oder später ins Spiel, nicht zuletzt, da es sich bei Ideologien auch immer noch um Fragen der Moral handelt und Diskussionen um moralische Ansichten schnell hitzig werden können. Selbst, wenn der INTP gefasst bleibt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, an einen Vertreter des entgegengesetzten ideologischen Spektrums zu geraten, der schnell laut, persönlich und leidenschaftlich wird. Und wenn es etwas gibt, was INTPs die Fassung verlieren lässt, dann sind es andere Personen, die den INTP damit überraschen, wie dumm sie (in seinen Augen) sind. Kombiniert man diesen Eindruck mit dem Empfinden der eigenen ideologischen Überlegenheit, nimmt das Wesen des INTPs schnell arrogante Züge an. Darüber hinaus werden Vorurteile gestärkt und Urteilsvermögen weiterhin getrübt, wenn sich der INTP sich auf einmal doch, wie insgeheim ersehnt, in einer Gesellschaft gleichgesinnter wiederfindet, die ihn in seiner Meinung bekräftigen. Wenn er Anhänger einer nationalistischen Partei ist, wird es genau so Schulterklopfen von den Parteifreunden geben, wenn er argumentiert, was alles schädlich daran wäre, wenn mehr Ausländer ins Land kommen, wie er es als Vertreter der Linken von den Genossen bekommt, wenn er für das Gegenteil plädiert.
Das ist es, was ich schließlich mit „Überkompensation“ meine: letztlich gibt der INTP seine Neutralität und Objektivität auf, indem er sich einer Sache verschreibt und in gewisser Weise Teil einer Gruppe wird. Sein extrovertiertes Fühlen, von Definition aus fremdbestimmt, beginnt, sein introvertiertes Denken zu überschatten.
Wie immer: eine Frage der Balance
Ich will keineswegs davon abraten, dass INTPs in die Politik gehen oder Aktivisten werden sollen. Ich will nur auf die Gefahren eingehen, die mit solch einer Entscheidung einherkommen. Am Ende des Tages hat ohnehin jeder von uns eine politische Einstellung (sollte das jemand in Frage stellen, gerne in die Kommentare schreiben, das wäre nochmal einen Artikel an sich wert) und Debatten halten die Demokratie am leben. Wichtig ist es nur, für den INTP, den emotionalen Ausgleich nicht in Diskussionen zu finden. Das extrovertierte Fühlen darf nicht die Überhand nehmen, aber auch nicht ignoriert werden und am besten sind aufrichtige Freundschaften dafür, so kitschig sich das auch anhören mag. Ich denke, gerade junge INTPs sind gut damit beraten, sowohl die eigene Meinung, als auch die der anderen nicht wichtiger zu machen, als sie sind. Soll heißen, es gibt eine Zeit zum diskutieren und eine Zeit, um einfach nur gemeinsam über Bücher zu schwärmen, Spiele zu spielen, zu scherzen, etc. und den Kritiker auch einfach Mal ruhen zu lassen.
Selbst die größten „Belanglosigkeiten“ für INTPs, mögen sie auch kräftezehrend sein, dienen einem gewissen Ausgleich. Um das Thema auch noch angeschnitten zu haben, denn es passt gut zum Stichwort „Ausgleich“: INTPs sind auch gut damit beraten, sich nicht nur um ihre emotionalen Bedürfnisse zu kümmern, sondern auch, um ihre körperlichen. Wenige Typen sind so in die eigene Gedankenwelt zurückgezogen, wie der INTP. Da sich sein Alltag in der Regel im Kopf abspielt, werden physische Signale oft ausgeblendet. Als Folge passieren schneller kleinere oder auch größere Unfälle im Haushalt, weil man mal wieder nicht richtig aufgepasst hat und Zustände wie Müdigkeit oder Hunger werden oft erst dann wahrgenommen, wenn sie einen kritischen Punkt erreicht haben. Um dem entgegenzuwirken, sind körperbezogene Tätigkeiten wie Sport und bestimmte Meditationstechniken sinnvoll